Heruntergekommener Bahnhof

Wieder hob er alles auf.
"Ich will mit dir was spielen."

Sie murmelte irgendetwas, wofür Yuu ihr vermutlich eine scheuern würde, streckte aber dann die Hand aus.
"Ich will den Fingerhut."

Er gab ihr die Spielfigur.
"Gute Wahl."
Es wurde alles wieder aufgebaut.
"Du darfst anfangen."

Sie hätte sich beschwert, wenn nicht.
Aber tatsächlich spielte sie das ganze Spiel mit ihm durch und war sogar nicht mal wütend, als sie haushoch verlor.
"Nochmal."

"Okay!"
Cetan war sichtlich stolz über seinen Sieg.

Was Ai nicht mochte.
Sie wollte auch gewinnen!

Dann musste sie besser werden.
In solchen spielen war der Junge gut.
Ab und zu gab er ihr aber eine Chance.

Was sie nicht bemerkte - aber sie tatsächlich zum Lächeln brachte.
Triumphierend zwar, aber immerhin!

Das machte auch Cetan Freude.
Als es spät wurde, packte er das Spiel jedoch zusammen.
"Ich muss langsam ins Bett. Morgen um 14 Uhr, ja? Wenn Dad mich von der Schule abholt bin ich ein bisschen früher da."
Er neigte den Kopf.
"Gute Nacht, Ai!"

"Aber wir sind noch gar nicht fertig!"

"Wir machen morgen weiter. Es ist schon sieben Uhr.. ich muss noch Zähne putzen und mich umziehen. Sonst komm ich zu spät ins Bett."

Sie schnaubte abfällig.
"Ach ja. Stimmt. Kleine Kinder müssen ins Bett."

"Ich bin kein kleines Kind."
Er plusterte etwas die Wangen auf, sah aber nicht wirklich wütend auf.
"Ausreichend Schlaf ist wichtig fürs Gehirn."

"Kind."

"Du bist doch auch noch ein Kind."
Seine gelben Augen musterten ihren zu klein geratenen Körper.

Ihre Augen wurden schmal.
"Ich bin älter als Cain, du Babyface!"

Er legte den Kopf schief.
"Achso."
Glauben tat er ihr eh nicht.

Und damit wars wieder vorbei mit der netten Phasen und sie schmiss die Lampe neben sich nach ihm.

Er wich aus.
"Also, bis Morgen!"
Weg war er, aber er würde wieder kommen.
Jeden verdammten Tag.

Und jeden verdammten Tag musste er erst einmal zwei Stunden lang mit ihrer Wut leben, bis sie ihm nachgab und mit ihm spielte.
Und jeden Tag war sie wieder wütend, weil er einfach jedes Mal um sieben ging und nie fertig spielte! Sie hasste das!

Nicht immer.
Am Wochenende blieb er eine halbe Stunde länger.
Vielleicht würde sie sich ja irgendwann dem Rhythmus anpassen.

Würde sie. Nach vielen harten Monaten, nach denen sie auch endlich aufhörte ihre Zeit mit ihrer Wut zu verschwenden und sich lieber ihren Spielen zu widmen.
Raiko kam nur selten vorbei, weil das Ai nicht passte, aber es freute sie zu sehen, dass es ihr besser ging.
Meistens fragte sie Cetan einmal die Woche aus.

Yuu kam in dieser Zeit nur selten nach Hause und sah nach Kaeru.
Er suchte immer noch nach einer Lösung für ihn und nach Rees.
Cetan hingegen nutze Ai eben so gegen die Einsamkeit in dem riesigen Haus.
Vor allem nachdem es zwischen seinen Eltern in die Brüche gegangen war.
Manchmal redete er werden des Spiels leise darüber, mit Ai als unfreiwilligem Zuhörer.
Sogar seinen Geburtstag hatte er bei ihr verbracht.
In dem Haus wusste sowieso keiner das Datum, also hatte er sich einfach einen Tag dafür ausgesucht.
Das war eben der Nachteil,wenn man nicht geboren, sondern geschaffen wurde.
Heute ging es dem Jungen aber scheinbar gar nicht gut.
War blass im Gesicht und hing auf dem Tisch.

Was die Dinge zwischen ihm und Raiko nicht unbedingt verbesserte, ganz im Gegenteil.
Ganz, ganz im Gegenteil.
Aber sie war da für den Jungen und auch Kaeru. Ai, wenn sie wollte.
Und manchmal redete sie auch Madlen.
Ai genoss die Gesellschaft mittlerweile, doch irgendwie froh darüber jemanden zu haben mit dem sie sprechen konnte, auch wenn sie im Gegensatz zu ihm nie erzählte. Und sie sagte auch nie etwas zu seinen Sorgen. Hörte nur zu.
Gerade musterte sie ihn eindringlich.
"Cetan, du bist dran."

Raiko hatte wohl alle Hände voll zu tun.
Dennoch sollte sie nicht zu hart zu Yuu sein.
Der Mann gab sein Bestes.
Cetan zumindest setzte sich jetzt erschöpft auf, und setzte zum Spielzug an, zu dem es aber nicht kam.
Schneller als Ai schauen konnte, rannte er in ihr Bad.

Vor allem mit Kaeru. Er verletzte sie oft.
Und doch, sie war hart zu ihm. Aber sie war auch nur einsam.

Ai sah ihm besorgt nach.
"Cetan?"

Da ging es nicht nur ihr so.
Zumindest hatte sie irgendwann in Madlen einen Gesprächspartner, bei den Büchern.

Keine Antwort.
Nach 10 Minuten, hörte sie jedoch Wasser laufen.
Fast eine halbe Stunde ließ er sie sitzen, bis er bis auf ein Handtuch um die Hüften nackt und tropfnass aus dem Bad kam und sich denKopf hielt.
"Sorry...", nuschelte er und kam zu dem Tisch um im Stehen seinen Zug zu machen.
Von dort oben musterte er sie dann auch abgelenkt.

Oh ja...
"Männer sind so scheiße."

Sie sah ihn stirnrunzelnd an.
"Du solltest lieber ins Bett gehen."

"Nicht alle. Nur unsere."

"Nein...geh schon..."
Er legte den Kopf schief und seine langen Strähnen fielen ihm ins Gesicht.
"Du bist doch blond, oder?"

"Doch. Alle.", behauptete sie.
"Kein Wort. Nicht eines!"

Ihre Augenbrauen zogen sich leicht zusammen.
"Was soll das denn heißen?"