Verlassene Villa

"Hm, dann solltest du mal ganz schnell zu deiner Familie rennen, kleine Raiko. Die waren schon auf dich."

"Och...da müssen die schon selbst suchen, wenn sie die Viecher wiederhaben wollen."
Sie zuckte mit den Schultern, drehte sich um und ging.

"Bye, Kücken."
Er wunk ihr nach und schloss dann wieder die Augen.
So nervig.

"Fick dich", knurrte sie nur und verschwand im Wald.
Wenn sie sie finden würden, würden sie sie eben finden und wenn nicht, dann eben nicht.
Und wenn sie sie fänden, tja...dann hatte sie halt die Arschkarte.
Das war jetzt pure Glückssache.
Ein leises Seufzen kam aus ihrer Kehle.
Aber er hatte Recht...sie war nie etwas anderes wie ein Gegenstand für andere gewesen.
Benutzt und weggeworfen. Immer.
Irgendwann hatte sie keine Lust mehr zu laufen und setzte sich an einen Baum gelehnt auf den Boden, die Beine zog sie an den Körper.
Sie hätte damals Hilfe suchen können...irgendwo, irgendwo hätte man ihr vielleicht geholfen, aber dazu fehlte ihr der Mut, die Hoffnung.
Sie erinnerte sich zurück an den Tag, an dem ihre Welt gekippt war, zersprang in tausend kleine Teilchen.
Damals..ja, damals war sie wirklich dumm gewesen.
Die Schmerzen der Folter, das Töten, die Regeln, das Brechen...
All das hatte sie ertragen, ohne sich zu beschweren.
Hatte es ertragen, weil er es so wollte, weil er sagte, dass es gut so war. Und richtig.
Und sie hatte ihm geglaubt.
Hatte getötet, gelitten, geschwiegen...alles für ihn.
Und es war nie genug gewesen. Nie.
Von Ayumi hatte sie erst später erfahren. Ayumi. Ihr Zwilling. Ihr Original...ihre Mutter.
Die, die sie vor Cade schützte, um Cade vor dem Wahnsinn zu bewahren.
Wie hatte sie mal zu Luu gesagt? Im Gegensatz zu meiner ist deine ein echtes Goldstück.
Und sie hatte nicht ihre Ziehmutter gemeint...nicht diese Hure.
Noch so eine Sache...Warum war sie immer die Hure?
Hure, Schlampe, Monster, Miststück...sie hatte schon so viel gehört.
Raiko schloss leicht die Augen und lächelte bitter.
Das war er also...Ihre Strafe.
Ihr niemals endender Albtraum aus Hass und Einsamkeit. Gegenstände haben keinen Platz in der Welt. Sie wurden von Dingen, die diesen Platz haben, geschaffen.
Wie sie sie beneidete...Wie sie diese lachenden Gesichter ankotzten...Wenn sie nur alle verschwinden würden...
Sie stutzte.
Nein, so dürfte sie nicht denken. Sonst würde alles wieder so wie früher werden.
Töten, hassen, atmen, quälen, töten.
Sie gab es zwar nie zu, aber sie hasste diese Einsamkeit.
Schon immer war sie ihren Weg allein gegangen, auch, als für kurze Zeit ein weiteres paar Fußspuren im Sand aufgetaucht waren...das war schlussendlich nur eine Illusion gewesen.
Wieder einmal machte sie sich über ihre Dummheit lustig.
Aber jetzt war es sowieso vorbei.
Raiko hatte keine Lust mehr, zu kämpfen.
Es war sinnlos einen Kampf zu kämpfen, den man schon mit dem ersten Herzschlag verloren hatte.
Und das Lied besiegelte ihren Fluch.

Nach einer Weile stand er seufztend auf und ging ebenfalls los, aus dem Wald hinaus auf eine große Lichtung.
Die Hände in die Hosentaschen gesteckt, legte er den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel.
Ein Tropfen platschte auf sein Gesicht, als es auch schon Richtig began zu regnen.
"Na, großer Bruder? Amüsierst du dich auch schön über mich?"
Das Gold kehrte in seine Augen zurück und das Kreuz kühlte sich langsam ab, so das die branntwunden sich etwas schließen konnten.
"Schon klar...ich kenne deinen Plan. Gut durchdacht, aber es funktioniert nicht. Es ist zu viel passiert. Auch zwischen uns. Wir werden uns nie ergänzen. Es hat nicht funtioniert. Nichts hat funktioniert..."
Goldenes Feuer zog quallmend durch das nasse Gras ein Kreuz.
"DU BIST EIN IDIOT! HÖRST DU MICH, BRUDER?!"
Ein Baum wurde zerschmettert.
"So ein naiver kleiner Junge...merkst du es nicht....merkst du es nicht? Nein? Sie verraten dich. SIE HINTERGEHEN DICH! Sie folgen MEINEM Weg. Du bist blind! Blind vor Gutmut! Selbst wenn ich dich nicht stürze, selbst wenn ich es nicht will, so hab ich doch damals dafür gesorgt das der Plan nie enden kann. Er läuft, großes Bruder. Er läuft, aber du merkst es nicht, denn du schmorrst noch immer unahnend in meiner Hölle."
Er fing in seiner Hanfläche die Tropfen auf und betrachete sie.
"Tut es weh? Weinst du deswegen? Weil es so weh tut oder weil du es erkennst? Weißt du, ich denke du weißt nicht, was Schmerz ist. Ich denke wenn du es wüsstest, dann würdest du aufhören zu existieren....und ich mit dir."
Die Tropfen verdampften in seiner Hand.
"Du bist nur der gefeierte Heilland, der dort oben über seine Kinder wacht, nicht? Aber mich kannst du nicht belügen...mich nicht. Ich bin dein Schatten......und das bleibe ich auch. Nett nicht? Ich meine ein Schatten folgt doch den befehlen des Realen."
Kurzes Schweigen, aber dennoch tausend Stimmen. Er lachte leise.
"Aber nein...nein... du hast recht, es kann nie wieder so sein. Es ist vorbei. Zu spät zurückzukehren. Ich bin allein. Das was ich immer wollte. Das hier bin zwar nicht ich, aber es ist ein wir, das mir sagt, das ich es bin. Wir und ich, ohne dich. Sie hassen dich ja so. Sie hassen dich über alles. Wusstest du das? Ja? Wie ertägst du es? Schneidet es dir nicht die Seele aus dem Leib, nein? He, dann sind wir wirklich schon getrennt von einander. Du spürst es nicht mehr. Hast du je hinter dich gesehen? Hast du nachgesehen ob da noch was ist? Nein? Dann schau mal hinter mich...es sind zwar grade Wolken da, aber er ist noch da. Dunkelheit...die mich verfolgt, auf jedem Schritt...die mich erinnert was ich bin. Hm...wenn ich es noch bin. Ich gehöre nicht zu dir ich gehöre nicht zu ihnen. Ich gehöre nicht mir selbst. Bin kein Gott, wie du. Habe die Macht nicht ertagen. Lache, lass die Sonne schein, denn dann denkst du an mich, großer Bruder. Dann siehst du mich dort oben. Dann erinnert es dich an die Zeit. An eine Zeit, als ich noch warten durfte. Eine Zeit in der ich nocht Hoffung hatte. Obwohl, ich habe sich nicht verloren...nur umgebracht. Kann sie wiederbeboren werden? Ich hoffe es in ihrem Interesse nicht."
Nun musste er wirklich lachen und sank langsam auf die Knie.
"Ich bete dafür das du dich gut um sie kümmerst, ja? Wehe ich bekomme etwas anderes heraus! Sie sind gute Wesen, sie waren nur noch etwas Jung. Das musst du ihnen absehen. In wirklichkeit waren sie nur Kinder, Bruder, nur Kinder, also geb ihn einen Schönen Ort. Lass sie nicht bei mir. Ich ertrage es nicht mehr. Nehm sie! Nehm sie ALLE! Ich bete auch dafür."
Plitsch Platsch.
Er genoss die Kälte auf seiner Haut. Seine Haare hingen ihm ins Gesicht und seine Hose war voll mit Schlamm, aber so gut ging es ihm schon lang nicht mehr.
"Ich komme nicht zurück, das wollt ich nur sagen. Du bleibst mein Bruder, du bleibst meine Realität. Du bleibst alles, auch wenn ich mir einrede du seist nichts. Pass auf sie auf ja? Schütze sie davor. Selbst vor den weißen Schwingen. Denn so wie ich dich kenne, so kennst du mich. Manchmal bin ich dankbar...dankbar für den Schutz deiner Duneklheit. Denn dann weiß ich, das du an meiner Seite bist...So nah das ich dich umbringen kann...so nah das du mir vergiebst, auch wenn ich das nicht. Wie imm Himmel, so auch auf Erden, Bruder. Amen."
Damit du es weißt...

Beinahe hätte sie schon wieder aufgelacht, als es anfing zu regnen.
Das passte ja jetzt.
Und heute war der Tag...der Tag an dem sie Cades wahre Gedanken kennengelernt hatte.
Noch immer wusste sie den genauen Wortlaut...
"Warum sollte mich das kümmern? Was will ich schon mit diesem Stück Dreck? Ihre Seele ist befleckt und ihr Körper benutzt. Was bleibt da noch wichtiges übrig? Ein Herz hatte sie noch nie, dafür habe ich schon gesorgt. Sowas wie Mitleid oder Liebe kennt sie nicht. Die perfekte Waffe."
Ein paar einfache Worte hatten sie so zerstört.
Dieser Tag...heute...war schon immer ein Ungückstag gewesen.
Denn - oh wunder - es war auch dieser Tag, als Yuu Cade entmachtete.
Wenn sie daran zurückdachte kam sie sich wirklich lächerlich vor.
Wochenlang hatte sie sich in New York versteckt und geweint. Richtig jämmerlich.
Sie war angewiedert von sich selbst gewesen, konnte aber nicht aufhören.
Und wenn sie jetzt an die Zeiten zurückdachte, in denen sie glücklich gewesen war überkam sie einfach nur bodenloser Schmerz.
Weil es nie so war, alles war ein Theaterstück und er der Regisseur.
Wirklich amüsant...bestimmt war es lustig gewesen.
Raiko wusste nur zu gut, dass sie nur vorgab stark zu sein.
So, wie Yuu es gesagt hatte.
Tief in ihrem inneren brach sie jede Sekunde daran. Es war einfach zuviel.
Ihre Schultern begannen zu beben.
Alles kam wieder hoch. Cade, Yuu....Alles.
Die ersten Tränen liefen ihr über die Wange, vermischten sich mit dem Regen auf ihrem Gesicht, dann verlor sie die Beherrschung die sie die ganze Zeit so lange aufrecht erhalten hatte. All die Jahre, all die Jahre ihres Lebens waren sinnlos.
Benutzt, befleckt, gebrochen, weggeworfen.
Hier war sie allein, hier sah sie niemand. Hier war es in Ordnung zu weinen.

Als er schließlich merkte, das er wieder vollkommen ruhig war, stand er auf und verschwand im Wald.

Klack.
Der Moegami lies die Scherbe in Raikos Schoß fallen und strecke einen Flügel über ihrem Kopf aus, um sie vor dem Regen zu schützen.
Still blieb er einfach dort stehen und sah wieder hinauf in den Himmel.

Sie zuckte leicht zusammen, als sie ihn bemerkte und verkniff sich das Schluchzen.
Raiko schwieg einfach nur und sah dem Regen beim fallen zu.
Nebenbei glitten ihre Hände zu der Scherbe und umschlossen sie.
Ein pochender Schmerz breitete sich in ihren Handflächen aus.
Was war schon leben?

Nach einiger Zeit senkte er dem Kopf und lies ihn zu Boden hängen.
Die einzelnen Tropfen die über die nassen Federn rollten waren tröstlich..hatten etwas wiederkehrendes...etwas beruhigendes.
Der Regen war kalt, aber er tat der Seele gut. Wusch sie rein.
Vergieb mir Raiko...vergieb mir bitte. Ich weiß jetzt das es die Macht war, die mich zerstörte. Macht, Hass und Rache. Vergieb mir das dich meine Unsterblichkeit in deinen Schoß legte und dich somit zurück in diese Welt zwang. Vergieb mir, mehr will ich nicht. Ich willl nur nicht für immer Leben und mich an deinen Hass erinnern müssen. Erlös mich bitte, dieses eine Mal zum letzten Mal. Es tut mir leid...auch wenn du es mir nie glauben wirst.

Ein paar Minuten lang war sie wie erstarrt.
Dann senkte sie de Kopf und unterdrückte erneutes Aufschluchzen.
Als sie sich wieder einigermaßen im griff hatte musterte sie ausgiebig die Scherbe in ihren Händen.
"Yuu...", sie machte eine kleine Pause und schien nachzudenken.
Dann lachte sie leise.
"Ein paar kleine Worte und ich bin total durch den Wind...Klasse", murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm.
"Ich...versuchs, okay?", meinte sie dann, fast lautlos.

Einen Moment passierte gar nichts, dann flackerte das goldene Feuer leicht auf und schon nahm er Raiko in den Arm.
"Danke...", flüsterte er leise in ihr Ohr und legte den Kopf auf ihre Schulter.
"Danke für alles."

"Was...was bedankst du dich, du Idiot?!", murmelte sie.
"Ich hab gesagt versuchen. Da ist keine Garantie, dass ich das auch kann. Vergess das nicht"

"Ja, Raiko...aber du bist da...du bist noch da. Nach all der Zeit gibt es dich noch. Ich danke dafür...dafür das es du geschaffen wurdest. Für mich bist du kein Gegenstand, Raiko. Du bist meine Seele, auch ohne dieses Herz."

Wieder fing sie an zu weinen.
"Du bist ein verdammtes Arschloch...nur damit du es weißt", aber ihr Ton war alles andere als beschuldigend.
Sie holte tief Luft und fasste einen Entschluss.
"Ich glaube dir...dieses eine Mal noch. Und ich schwöre dir, ist das wieder nur ein schlechter Scherz reiß ich dir die Eingeweide höchstpersönlich raus"

"Dieses eine Mal will ich dich auch nicht entäuschen. Dieses eine Mal gehört dir die Wahrheit."
Er legte ihr die Lippen an den Hals und küsste leicht ihre Schlagader.
"Ich hoffe das du mir dann nicht nur die Organe rausreißt, Kücken."

"Manchmal kann ich mich echt nicht entscheiden ob du jetzt Masochist oder Sadist bist...", brummte sie nur.
Sie seufzte leicht.
Wie dumm muss man sein...So dumm wie ich eben

"Das darfst du dir aussuchen", lächelte er.
"Und soll ich dir was sagen? Die Dummen sind immer die Glücklichen, denn sie sehen das ihr Pech nicht."

"Ha.Ha.Ha", machte sie nur.
"Falls das jetzt in irgendeinster Weise helfen sollte, war das leider nichts"

"Macht nichts, war nur meine Meinung dazu."
Er lies sie los und setzte sich auf die Knie.
"Kom, wir holen dir was zum Anziehen. Bei dem Wetter wirst du sonst wirklich noch krank."

"So leicht werde ich nicht krank...aber was zum Anziehen ist eine gute Idee...sehr gute Idee"
Sie fuhr sich mit der Hand durch die nassen Haare.

Er hob ihr die Hand hin.
"Ja, und ich hätte auch sehr gern wieder ein Hemd...hmm...du musst mir sowieso noch was erklären..."

Sie ignorierte seine Hand einfach und stand von selbst auf.
"Was muss ich dir erklären?"

"Ich verstehe nicht warum dein Clan noch existiert, wenn ich doch Cade entmachtet habe. Müsste er nicht in sich zusammenfallen, ohne Oberhaupt? Und wer sind diese Hunter?"

"Das...ist ein gut gehütetes Geheimnis", meinte sie reserviert.
"Vielleicht auch ein offenes. Da müsstest du eigentlich auch selbst drauf kommen"

"Hmmm...gab es bei euch vielleicht gar kein einzelnen Herrscher? Gab es noch jemand außer Cade? Sein Vater? Bruder?"

Sie sagte nichts und sah ihn einfach nur mit einem undefinierbaren Blick an.
Es war schwer zu sagen, ob sie ihn nur ärgerte, oder ob es ihr ernst war.

"Nein ja ja nein? Ja? Nein? Jein? Okay, ich geb auf. Muss ich wohl hin und die da fragen, aber jetzt erstmal was zum Anziehen holen."

"Geh und frag ruhig. Als Weihnachtsgans sahst du ganz nett aus. Ich frage mich, ob es diesesmal sogar ein Feuerchen gibt"
Raiko legte nachdenklich den Kopf schief.

"Dann wärs mir wenigstens warm....", meinte Yuu und duckte sich unter einem Ast weg.
"Und soooooo schlimm können die ja gar nicht sein, oder? Ich mein...Cade ist weg....oder?". es klang unsicher.

"Cade ja...aber du hast Ryo noch nicht kennen gelernt. Also sei nicht voreilig.", sagte sie, so ganz nebenbei am Rande.